WIRK ZEUG „Soll man als Führungskraft authentisch sein?“

WIRK ZEUG „Soll man als Führungskraft authentisch sein?“
01 Sep 2020

Heute geht’s um Authentizität.

Stellen Sie sich vor: ein Abteilungsleiter spricht in der Geschäftsführer Sitzung genauso, wie er  sich mit seinen Mitarbeitern beim Betriebsausflug unterhält.
Gleiche Wortwahl, gleiche Tonalität, gleiche Ansprechhaltung.

Wenn er das tut, ist er sicher eine sehr authentische Führungskraft, ganz echt, ganz er selber.

Aber wird er damit seiner Rolle als Führungskraft gerecht?

Meine bevorzugte Definition von Authentizität ist

Sich selber treu bleiben und gleichzeitig anschlussfähig.

 Anschlussfähig heißt: wie verstehe ich meine Rolle? Als wer und was spreche ich?

  • Als Entscheider?
  • Als Ermunterer?
  • Als kritischer Berichterstatter?

Führungskräfte müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen, viele Rollen einnehmen können.

Spielen wir es mal an einem Beispiel durch.

An dem Mann, der im kommenden Jahr die Spitzen- Führungskraft des Staates werden will – Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD.

Am 10. August sprach er zum ersten Mal als Kanzlerkandidat. Nachdrücklich bedankte er sich bei der Parteispitze für die Nominierung und fuhr fort:

Das ist etwas ganz Besonderes und eine große Verpflichtung. Eine große Verpflichtung übrigens, da weiter zu machen, wo wir in den letzten Monaten intensiv daran gearbeitet haben, nämlich geschlossen, kooperativ zu zeigen, dass wir einen Auftrag haben, den wir von den Bürgern und Bürgerinnen erhalten haben und den wir wahrnehmen wollen. Und nicht dadurch wahrnehmen wollen, dass wir uns im Streit miteinander befinden, sondern miteinander politische Zielsetzungen formulieren und auch durchsetzen.“

Quelle ARD – Tagesschau: Pressekonferenz Vorstellung Kanzlerkandidat, 10.08.2020

 So kennt man ihn. Ruhig, sachlich –  in der Aufnahme zusehen war der zarte Versuch von Emphase mit Unterarmen und Fäusten. Das schien mir neu.

Welche Rolle hatte er wohl für sich für diesen Auftritt definiert?
Wie wollte er den Erwartungen der Öffentlichkeit an die Kanzlerrolle gerecht werden?

Die Süddeutsche nannte ihn danach einen „Dompteur“ von Beruf. Zähmung der Wähler und der eigenen Partei.

Ich würde sagen – zu einem Dompteur passt diese zurück genommene Art. Angesichts von Raubtieren sollte man nicht viel herumfuchteln. Und sowohl Journalisten, als auch die Flügel der SPD haben durchaus scharfe Reißzähne.

Aber kann er auch anders? Zum Beispiel auf einem Parteitag 2018?

„Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben jetzt eine ganze Reihe von Parteitagen hinter uns, fünf waren es in den letzten dreizehn Monaten. Und das ist natürlich ein Zeichen dafür, dass was los ist. Und deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir Wege gefunden haben, zusammenzustehen und die Aufgaben zu schultern, die jetzt vor uns stehen.“

Parteitag der SPD, 22.04.2018

Das war 2018, verblüffend ähnlich zu 2020. Sowohl inhaltlich, als auch in der Ansprechhaltung. Finden Sie nicht auch?

Also wieder Dompteur.
Einer, der auch bei verändertem Zielpublikum sich bewegungslos treu bleibt: Sachlichkeit, Kontrolle, Selbstbeherrschung.

 Olaf Scholz zum dritten. Wie ist er im Zwiegespräch, in einem aktuellen Interview bei NTV? Verändert er etwas, versucht er das Publikum des Infosenders mit einer anderen Rollenausprägung für sich einzunehmen? Vielleicht mit Selbstironie?

Frage des Moderators Lothar Keller:

„Sind Sie ein Kandidat von Gnaden der Parteilinken?

Ich bin Sozialdemokrat, ich bin der Kanzlerkandidat der SPD und mir ist ganz wichtig gewesen in den letzten Wochen und Monaten, dass die Kandidatur von mir getragen wird von allen. Das ist jetzt passiert. Nun spekulieren alle, was es bedeutet, wenn ich mich als Kanzlerkandidat bewerbe. Dann kriegen auch alle mich als Kanzler und nicht etwas anderes, darauf kann man sich verlassen. Und das habe ich in allen Ämtern, die ich bisher ausgeübt habe auch immer bewiesen.“

Quelle NTV, 17.08.2020

Nein, keine Veränderung. Im Gegenteil – im Subtext läuft mit:

So war ich, so bin ich und nur so kriegt ihr mich.

Obwohl ihn viele, nicht nur das Handelsblatt, spröde, langweilig, uninspiriert nennen. Schneller Denker, schlechter Kommunikator heißt es da.

Müsste der Mann, der das wichtigste Amt im Staat anstrebt, nicht auch fähig sein, Gefühle zu kommunizieren? Sowas wie Leidenschaft für seine Themen ausstrahlen?

So wie diese beiden hier – Christian Lindner am Ende seiner Wutrede 2016 und Annalena Baerbock, u.a. Kohleexpertin der Grünen vor kurzem im Bundestag:

Christian Lindner, Vorsitzender FDP

Und ich sage Ihnen eines, Herr Kollege, ich sage Ihnen eins. Mit mir können Sie das ja machen. Ich bin FDP-Vorsitzender, ich bin solche Anwürfe gewohnt. Aber was für einen Eindruck macht ein solch dämlicher Zwischenruf wie ihrer, auf einen gründungswilligen, jungen Menschen. Was für einen Eindruck.“

Quelle: Landtag NRW_01.02.2016

Annalena Baerbock, Vorsitzende der Grünen

 „Und meinen Sie etwa, mir fällt es hier heute leicht einfach zu sagen: Ich stimme  gegen eine Kohleausstiegsgesetz? Ich habe mich, seitdem ich seit 2013 hier im Bundestag bin, beschimpfen lassen an diesem Pult, wie verrückt wir sind, dass wir das Wort Kohleausstieg überhaupt in den Mund nehmen. Und jetzt wäre der Tag gekommen, an dem wir gemeinsam einem Kohleausstiegsgesetz zustimmen könnte. Aber leider machen Sie das nicht möglich, weil Ihr Gesetz zukunftsvergessen ist, meine Damen und Herren.“

Quelle: Bundestag, 03.07.2020, Debatte zum Kohleausstieg

Mal angenommen, Olaf Scholz würde gerne so wirken – leidenschaftlich, engagiert – würde man es ihm glauben?

Möglicherweise. Allerdings nur, wenn damit auch eine innere Entwicklung einhergeht. Nur ein paar Techniken antrainieren, die nach innerem Feuer aussehen – das bewirkt eher das Gegenteil.

So wie dieses Foto – hier hat sich Olaf Scholz, vermutlich auf Empfehlung des Fotografen in  für ihn fremde Gefilde gewagt. Und ist dafür kräftig verspottet worden.

Wenn eine Führungskraft ihren Auftritt verändern möchte, sollte sie sich darüber klar werden, was ihr ganz persönlicher Anteil an der beruflichen Rolle ist.

Will sie ein Menschenführer sein, mit Empathie und Zugewandtheit?

Oder vor allem analytischer Kopf, der technokratisch führt?

Wenn sie die Wahl hat zwischen den beiden, ist sie souverän. Wenn sie in einem gefangen ist, fehlt ihr die Hälfte des Repertoires.

Ich finde, jede gute Führungskraft sollte die gesamte Klaviatur spielen können.
Erst recht ein Kanzler.

Aber vielleicht überrascht uns Olaf Scholz ja noch.

  

Weiterführende Literatur:

Ulrich Sollmann: Einführung in Körpersprache und nonverbale Kommunikation; Auer Verlag, 2013
https://amzn.to/3aPNrRO

Carmine Gallo: The Presentation Secretes of Steve Jobs – How to be Insanely Great in Front of Any Audience; Mc Graw Hill,2009

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