Griechenlandhilfe oder Griechenland, Hilfe!

19 Feb 2012

Fragen, die andere stellen:

Die Straße brennt – aber das griechische Parlament hat dem Sparpaket zugestimmt und hofft nun, wieder auf Unterstützung. Macht das Sinn, fragen viele Kommentatoren.

Was kommt nach dem dieses Geld ausgegeben ist? Verlängert das den Schrecken nicht nur wieder um ein paar Wochen? Was macht Hoffnung, dass Griechenland tatsächlich spart und seine Wirtschaft wieder in Schwung kommt? Und was wären die Folgen einer Pleite – „Haftungsrisiken, die wir nicht mehr kalkulieren können“, wie die Kanzlerin sagt?

Das sind Fragen, bei denen mich ein dauerndes“ Für und Wider“ bewegt. Dass griechische Eltern ihre Kinder in Heime schicken, weil sie ihnen nichts mehr zu essen geben können – erschütternd. Dass Menschen, die jahrelang gearbeitet haben, angesichts der drohenden Mindestlöhne voller Wut auf die Straße gehen – nachvollziehbar. Dass griechische Parteipolitiker bisher ihre Fähnchen nach dem Wind des Wählers richteten und deshalb die Sparanstrengungen nicht greifen konnten – empörend.

Was mich dabei vor allem beschäftigt:

ist die Abhängigkeit, in die die potentiell starken Länder durch die Schwäche einzelner geraten. Griechenland scheint wie ein erbarmenswürdiger Säufer, um den sich die Familie schart, um ihn wahlweise mit gutem Zureden zu retten. Oder, wenn der Kollaps droht, ihn mit Nachschub zu versorgen, nur damit der Kreislauf nicht zusammenbricht. Oder, wenn er sich wieder berappelt hat, ihn streng zu ermahnen, sich nun endlich zu bessern. Oder, wenn offensichtlich ist, dass wirklich gar nichts nützt, sich endgültig von ihm abzuwenden, mit der Gewissheit im Herzen, man habe ja alles versucht.

Ich weiß, in Zeiten globalisierter, komplexer Wirtschaftsbeziehungen ist das ein recht einfaches Bild. Die Dinge sind komplizierter. Wirklich? Einen uneinsichtigen Alkoholiker könnte man immerhin dazu bringen, seinen Konsum erst einmal zu notieren. Damit er sich nicht mehr selbst in die Tasche lügen kann“… die paar Bierchen…..“. Hat Griechenland dieses Stadium nicht schon hinter sich: die regelmäßigen Berichte an die EU–Kommission, die Kontrolle der Troika sind doch genau das. Wenn der Alkoholiker immer noch uneinsichtig ist und sich nicht freiwillig in einen Entzug begibt, könnte man ihn mit Begründung der „Selbst- und/oder Fremdgefährdung“ nachdrücklich dazu bewegen. Haben wir Selbst- und Fremdgefährdung bei Griechenland nicht schon längst? Ganz Europa und auch die USA fürchten sich vor dem Bankenkollaps, den eine griechische Pleite mit sich bringen könnte. Wenn ein Alkoholiker nach erfolgtem Entzug rückfällig wird – und das ist bei dieser Krankheit häufig – kann man ihn sich selbst überlassen und hoffen, dass er irgendwann zum Leben zurückfindet und fortan trocken bleibt.

Man kann aber auch dem Alkoholiker die Rückkehr aus der Klinik erleichtern – indem man überprüft, was der eigene Anteil an der Katastrophe war und sein eigenes Verhalten ändert. Hat man erste Warnzeichen geflissentlich übersehen – weil es bequemer war? Hat man auch nicht hingesehen, als die Ausreden schon deutlich überzogen und undeutlich artikuliert waren? Hat man sich in der eigenen Stärke angesichts der Schwäche gesonnt? Und hat man von vornherein übersehen, dass der Andere ein ganz anderes Wertesystem, eine andere Sicht auf die Welt hatte, schon bevor man sich überhaupt zusammen tat?

Griechenland ist ein wunderbares Land des Südens, die starken Euroländer sind nördliche Länder. Da gibt es ganz unterschiedliche Denkweisen und Sichtweisen auf die Welt. Die zu überprüfen und einander anzunähern, könnte sich lohnen. Die gegenseitige Abhängigkeit fruchtbringend zu einer Annäherung zu nutzen – das könnte allen zur Genesung verhelfen, dem Kranken und dem ihn umgebenden System.

Und sonst noch:

Hoffe ich, dass die Griechen es schaffen, südliche Lebensqualität mit Gastfreundschaft, Familiensolidarität und Nachbarschaftshilfe (so formuliert es laut SZ der griechisch – französische Philosoph Morin) mit den nördlichen Fähigkeiten der Analyse und Disziplin zu verbinden – und uns damit allen zeigt, wie es gehen kann. Denn das eine ist ohne das andere nicht die Hälfte wert.

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