Causa Strauss-Kahn
21 Mai 2011
Fragen, die andere stellen:
Also, Strauss-Kahn. Ein ungustiöses Thema. Die detaillierte Medienberichterstattung erschafft Bilder auch in den Köpfen des Publikums.
Man sieht den Mann, dessen Gesicht plötzlich durch die zahllosen Nahaufnahmen so vertraut erscheint, quasi in den Räumen seiner Suite. Von der Klägerin gibt es bislang kein öffentliches Foto, aber den Vornamen, das Alter, die Herkunft – wie viel Phantasie braucht es noch, um sich die vor der Grand Jury angeklagten Szenen vorstellen zu können?
Vom international anerkannten IWF-Chef zum Untersuchungs-Häftling. Erst Rikers Island. Seit heute Bewohner eines streng bewachten Apartments in Manhattan. Dessen Nachbarn wollen Strauss-Kahn nicht ihrer Nähe haben: zu viel Medieninteresse. Was für eine Fallhöhe. Der Mächtige dessen Nähe gesucht wurde, um sich in seinem Glanz zu sonnen, nun der Gemiedene, Verachtete.
Wie kann sich eine glänzende, politische Karriere zu einem solchen Tiefpunkt hin entwickeln?
Die Süddeutsche Zeitung liefert dazu heute eine kluge Analyse. Sie zitiert Alfred Grosser: Politik, Wirtschaft und Journalismus in Paris seien ein „Inzest-Milieu“. Die Führungsfiguren in diesem Milieu kämen alle aus den gleichen Elite Hochschulen, kennen einander seit der Schulzeit und bildeten eine eigene Gemeinschaft mit eigenen Regeln und Gesetzen des Umgangs.“ Hier in Paris kennen sich alle. Niemand tut dem anderen weh.“ Und so erkläre sich auch, dass die Journalisten der französischen Hauptstadt zu Strauss-Kahns offenbar bekannt aggressivem Umgang mit Frauen schwiegen. Eine Ausnahme ist die „Liberation“, die 2007 in einem Blog schrieb: „Das einzig wirkliche Problem Strauss-Kahns ist sein Verhältnis mit Frauen“. Der Autor, Jean Quatremer sagt der SZ heute: „Frauen, die keinen Ärger haben wollten, wussten, dass es besser war, nicht mit ihm allein zu sein.“
Folgerichtig fragt heute die „time“- Autorin Nancy Gibbs in bild.de: „Warum ist es möglich, dass Männer in hohe Ämter aufsteigen, obwohl ihre moralischen Mängel seit Jahren bekannt sind?
Die Antwort von Nancy Gibbs scheint viel für sich zu haben. Sie sagt, es hänge damit zusammen, wie ein Mann an Macht kommt:
Er muss verführen können: Wähler (Politik), Investoren (Wirtschaft), Fans (Show, Sport). Er muss an Grenzen gehen und sie überschreiten (Forschung, Geldgeschäfte, Technik). Er muss offensiv bis aggressiv sein. Selbst offene Lügen werden hingenommen. Er muss Risiken lieben, sie geradezu suchen – und wie ein pathologischer Narzisst glauben, dass IHM nichts passiert.
Und das, womit er beruflich so erfolgreich sei, würde so ein Mann auch im Privatleben anwenden. Laut Gibbs denke der Mann: Was dort richtig sei, könne ja hier nicht falsch sein.
Was mich dabei beschäftigt:
Ich meine, das ist nur die „halbe Wahrheit“. Ich meine, dass Maßlosigkeit und Wirklichkeitsferne im politischen System einen optimalen Nährboden finden. Jürgen Leinemann beschreibt in seinem Buch „Höhenrausch“ die Politik, das Machen von Politik, eindrücklich als „Droge“, von der die „Konsumenten“ nicht mehr lassen können. Die Abhängigkeit von dieser Droge, vom Auftritt in der Öffentlichkeit, der „authentischen Selbstinszenierung“, die Notwendigkeit sich immer wieder der eigenen „großen Bedeutung“ zu versichern macht gefühlsarm und bindungsschwach. Und realitätsfremd. „Karrieretypen sind meist intelligent und kopfgesteuert und haben Schwierigkeiten über ihre Probleme zu sprechen. Sie setzen sich selbst unter hohen Leistungsdruck. Sie sind einsam und maßlos. Maßlos im Arbeitspensum, im Alkoholkonsum, in Partnerschaften.“ Das sagte in „Höhenrausch“ Matthias Gottschaldt, ein anerkannter Suchtmediziner, der viele Politiker unter seinen Patienten hatte.
Und wenn Strauss-Kahn auch ein solch „Maßloser“ wäre, der zur emotionalen Entlastung eben nicht Alkohol, sondern Sex konsumiert? Blind für die Folgen seines Handelns, eingesponnen im Kokon der eigenen Bedeutung, unberührbar für die Gefühle und den Widerstand, der von ihm belästigten Frauen?
Das würde sein Verhalten nicht entschuldigen – die Mechanismen der politischen Welt, in der er lebte, bieten aber möglicherweise eine über das individuelle Fehlverhalten hinausgehende Erklärung.
Und sonst noch:
Ein in Köln lebender Franzose erzählte mir, dass er davon ausgeht, dass in Frankreich nun wieder die Diskussion um die Prostitution ausbricht. Prostitution ist in Frankreich verboten – Gegner dieses Verbots werden sich, so meint Freund Matthieu, nun die Causa Strauss-Kahn zunutze machen. Ihr Argument: Man müsse dem Mann eben eine geregelte „hormonelle Entlastung“ ermöglichen, dann käme es nicht zu solchen Übergriffen. Oh, mon Dieu …