„Was gesagt werden muss“

09 Apr 2012

Fragen, die andere stellen:

Die Diskussion um das „Gedicht“ von Günther Grass – „Was gesagt werden muß“ – tobt in in- und ausländischen Medien, Grass wird in Israel zur Persona non grata erklärt, erhält Einreiseverbot und auch in Deutschland findet er mit seiner Kritik an der israelischen Iranpolitik nur wenig Anhänger.

Grass zeigt sich enttäuscht über die Art der Auseinandersetzung, er habe eine klärende Debatte erhofft.

Die Diskussion um das „Betreuungsgeld“ tobt – nur – in den deutschen Medien, Befürworter und Gegner werfen sich gegenseitig das jeweils falsche Frauenbild, Dogmatismus und Realitätsferne vor. Michael Kretschmer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag hat zusammen mit 22 anderen Abgeordneten gedroht dem Betreuungsgeld die Stimme zu verweigern. Jetzt sagt er, er sei entsetzt über die Heftigkeit der Auseinandersetzung vor allem in der Regierungskoalition.

Was mich dabei vor allem beschäftigt:

Womit haben die Anstifter der Diskussion denn gerechnet?

Was erwartet ein Bundestagsabgeordneter, der sich öffentlich zusammen mit knapp zwei Dutzend Anderen gegen eine verbindlich vereinbarte Koalitionsabsprache stellt?

Und was erwartet ein 85 jähriger deutscher Autor, der eine pauschale Kritik an Israel äußert – ohne sie mit Argumenten zu belegen?

Doch wohl genau das, was eintritt – heftige und zum Teil unsachliche Gegenangriffe, die eine Diskussion entfachen, die im einen Fall der Koalition, im anderen dem Image des Nobelpreisträgers schadet.

Jeder Führungskraft, die ihre Funktion neu antritt, wird entweder von erfahrenen Vorgesetzten gesagt oder in entsprechenden Weiterbildungsseminaren vermittelt, dass sie von nun an von Mitarbeitern und Vorgesetzten in allen Situationen als Führungskraft gesehen wird. Alles was sie tut, was sie sagt, wird entsprechend interpretiert werden. Vielen fällt es nicht leicht, diesen Teil ihrer Rolle anzunehmen und für sich verträglich zu gestalten – aber die Erfahrung lehrt sie die Notwendigkeit.

Genau so ist es bei Personen des öffentlichen Lebens, Politiker und politischen Autoren – was sie sagen, wird aus ihrer Rolle heraus interpretiert, auf die Interpretation folgt die Reaktion.

Die ist in unseren beiden Fällen heftig – und sollte es wohl auch sein. Das Entsetzen bei Herrn Kretschmer und die Enttäuschung bei Herrn Grass über den Verlauf der Diskussion sind entweder gespielt – dann sind sie Heuchler und diskreditieren dadurch sich und ihr Anliegen. Oder Entsetzen und Enttäuschung sind echt – dann sind sie noch nicht oder nicht mehr reif für ihre jeweiligen Rollen. Michael Kretschmer ist 36, Günther Grass 85.

Mich ärgert dabei das dadurch hervorgerufene und von beiden bediente Mediengetöse um Themen, die eine bessere Auseinandersetzung verdient haben.

Und sonst noch:

Frage ich mich, wie weit “Aufreger Themen“ im Flur-Funk eines Unternehmens nicht genau nach dem selben Muster lanciert und weitergetrieben werden. Man braucht dazu nicht unbedingt ein Gedicht oder eine Unterschriftenliste – argumentativ nicht gestützte Behauptungen in die Welt zu setzen ist dafür völlig ausreichend.

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