ICH oder WIR. Was auf dem Geldtopf steht.

25 Aug 2012

Fragen, die andere stellen:

„Zwei Wirklichkeiten“ überschreibt die Süddeutsche das Treffen von Griechenlands Premier Samaras mit Angela Merkel. Bei der Gelegenheit sagte Merkel einen dieser fundamentalen Sätze, die man in der Eurokrise immer dann hört, wenn es ganz schlimm und/oder ein neues Hilfspaket bevor steht: „Der Euro ist mehr als eine Währung. Er ist die Idee eines geeinten, eines irreversiblen Europas.“

Was mich dabei beschäftigt:

Also, so übersetze ich mir das, ein Europa, in dem das gemeinsame WIR mehr Gewicht hat, als die 27 ICH‘S der einzelnen Staaten. WIR und ICHICH und WIR, das ist das Spannungsfeld das Menschen, die zusammen leben oder arbeiten, in Balance halten müssen. Egal ob sie eine Pfadfindergruppe, ein Unternehmen oder ein Staatengebilde sind. Kriegen Sie diese Spannung nicht ausbalanciert, geht die Gemeinsamkeit kaputt.

Nehmen wir als Beispiel ein Unternehmen, ein Hotel in dem ich in diesem Urlaub war.

49 Zimmer, bei Vollbelegung rund 100 Gäste, vier Sterne, fast familiär geführt, Personal vom Maintainance Service über die Zimmermädchen bis zum Küchen-/Kellnerteam circa 25 Personen, drei Führungskräfte.

Das redlich verdiente Trinkgeld geht in einen einzigen Topf, egal, wem man es gibt. Auf dem Topf könnte symbolisch stehen: WIR. Denn jede und jeder arbeitet dort in seiner Funktion auf das gemeinsame Ziel hin: das Wohlergehen und die Zufriedenheit des Gastes. WIR gemeinsam schaffen die Bedingungen und Atmosphäre, die dem Gast höchstmögliches Wohlbefinden geben und ihn damit zum Wiederkommen verführen. Das ist der höchste professionelle Wert in diesem Team, die individuellen Werte stehen dahinter zurück – auch bei der Führung.

Das gemeinsame Europa hat kein gemeinsames Ziel und keinen gemeinsamen Kunden, auf den es seine Anstrengungen richtet. Jeder einzelne Nationalstaat ist sich selber Kunde in dieser Staatenorganisation – jeder hat die anderen im misstrauischen Blick, gibt etwas rein und will mehr raus. Und auf dem Geldtopf steht ICH.

Und jeder dieser Staaten ist getrieben von unterschiedlichen Werten. Bei den Südländern sind es Gastfreundschaft, Nachbarschaftshilfe und Familiensolidarität. „Weiche“ Werte, die bis zur Krise Lebensqualität der gefühlvollen Art ermöglichten.

Die Werte der Nordstaaten hingegen – Disziplin, Effizienz und Innnovationskraft führten zu einem durchgetakteten Lebensstil, der ungeheuren wirtschaftlichen Erfolg bringt und Vorbild wurde.

Aber nichts davon sorgt für das WIR. Der christliche Glaube, der früher und bei den Pfadfindern immer noch die Einheit stiftet – Privatsache. Frieden, der Gründungswert der EU – selbstverständlich. Und der Euro, der monetäre Wert – reicht nicht zum WIR.

Und sonst noch:

In Phasen des Wandels geht es darum zu sehen, was bewahrt werden soll, was verändert werden kann und was zusammenbricht und durch Neues, Nachwachsendes ersetzt wird. Dieses „Zusammenbrechen“ nennt man Krisen. Krisen sind schmerzhaft und teuer. Wir erleben es gerade. Wenn daraus ein neues WIR entsteht, könnte sie sich lohnen.

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